Lotte Eckener (1906–1995) war eine deutsche Fotografin und Verlegerin, die zwischen den 1930er und 1960er Jahren überwiegend am Bodensee tätig war. Eine Einführung in ihre Arbeit und eine Einordnung des Bestands in der Sammlung Fotografie am Münchner Stadtmuseum finden Sie in Im Fokus: Lotte Eckener und das Münchner Stadtmuseum.

Lotte Eckener beschäftigte sich ab 1924 beruflich mit Fotografie, als sie eine Ausbildung an der Staatlichen Lehranstalt für Lichtbildwesen in München aufnahm.[1] Den 1920er Jahren werden heute bedeutende Entwicklungen sowohl im Bereich des Druckmediums als auch hinsichtlich neuer beruflicher Chancen für Fotografinnen zugeschrieben.[2] Lotte Eckener kann zu diesen Frauen gezählt werden, obgleich sie erst ab 1933 mit Druckmedien arbeitete. Im Anschluss daran setzte sie sich vier Jahrzehnte lang mit gedruckter Fotografie auseinander. Dem Buch Bodensee. Landschaft und Kunst kam dabei eine besondere Rolle zu, was sich an den 14 Auflagen ablesen lässt.[3]

Anhand der Bodensee-Bände fragt dieser Beitrag nach der Medienpraxis, die Lotte Eckeners Fotografien mit ihren Fotobüchern verbindet.

Das Bodensee-Buch durch die Jahrzehnte

Eine Untersuchung der Bodensee-Bücher zwischen 1935 und 1963 offenbart Veränderungen an der Gestaltung und Zusammensetzung der Fotografien sowie des Buches. Wie ich in diesem Beitrag zeigen möchte, sind diese sowohl auf politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, drucktechnische Entwicklungen als auch auf formalästhetische Entwicklungen in der Fotografie zurückzuführen.

Die strukturelle Dimension

Von 1935 bis mindestens 1948 erschien das Bodensee-Buch im See-Verlag mit Sitz in Friedrichshafen, 1950 und 1951 im Schoeller-Bild Kunstverlag in Kattenhorn auf der Höri und ab 1954 in dessen Nachfolgeverlag Simon und Koch mit Sitz in Konstanz. Bei allen drei Verlagen handelt es sich um kleine Einrichtungen, die stets mit anderen Einrichtungen zusammengearbeitet haben. Informationen über diese Kooperationen lassen sich aus Angaben in den Impressen schließen. Die Audiokommentare diskutieren drei Aspekte: die Druckstöcke aus dem Bruckmann Verlag,[4] die Genehmigung der französischen Militärregierung und die Rolle von Grafikerinnen wie Marlis Schoeller.[5]

Der Zweite Weltkrieg

Die Nachkriegszeit

Die Rolle von Gestaltenden

Die gestalterische Dimension

Zusammen mit den beteiligten Personen und Unternehmen hat sich auch die Gestaltung des Bodensee-Buches gewandelt. Trotz dieser Veränderungen gibt es zwei beständige Merkmale, die alle Ausgaben miteinander verbinden: das Hochformat des Buches und die Integration von Text. Letzterer stammt von 1935 bis 1947 von dem Historiker Karl Hönn, der sich auf wenigen Seiten vor allem auf Künstler*innen rund um den Bodensee fokussiert. Ab 1950 stammt der Text von dem Journalisten Heiner Ackermann, der ein breiteres kulturhistorisches Spektrum in den Blick nimmt und Themen von archäologischen Funden bis hin zu den Zeppelin-Unternehmen einschließt.

Neben diesen konstanten Elementen erlebte das Layout des Bodensee-Buches zahlreiche Veränderungen. In den Audiokommentaren werden einige dieser gestalterischen Entscheidungen anhand ausgewählter Seiten näher beschrieben.[6]

1935: Der Weißraum im Buch

1942: Drucktechnologische Entwicklungen

1950: Neue Gestaltung

Die Gestaltung eines Buches ist von zahlreichen Faktoren abhängig. Im Video spricht Helmut Völter, Künstler und Buchgestalter, über die drucktechnologischen Möglichkeiten in der Mitte des 20. Jahrhunderts, das Arrangement der Fotografien und die Bedeutung der Doppelseiten in den Bodensee-Büchern.

Die inhaltliche Dimension

Lotte Eckeners Bodensee-Buch setzt sich aus Fotografien zusammen, die verschiedene Genres abdecken. So finden sich Landschaftsaufnahmen, Städteansichten, Interieurs und Fotografien von sakraler Kunst. Die meisten Fotografien sind menschenleer mit Ausnahme einzelner Motive, die Fischer, Angler und Bäuer*innen zeigen.

Die Bildanzahl variiert leicht über die Jahrzehnte, bleibt aber mit 86 bis 108 Fotografien in ungefähr demselben Rahmen. Während einige Fotografien aussortiert und neue hinzugenommen werden, bleiben gewisse Motive immer gleich. Über Bildvergleiche lässt sich beobachten, dass andere Fotografien eine Aktualisierung erfahren haben.

Zwischen Sturm und Harmonie – Die Hafeneinfahrt bei Lindau

Die Hafeneinfahrt in Lindau ist ein Motiv, das in vielen Bodensee-Büchern abgedruckt ist, aber die Fotografie selbst ausgetauscht wurde. Diese Veränderungen können einerseits auf die Arbeitsprozesse und mögliche Verluste mit unterschiedlichen Druckereien zurückgeführt werden, andererseits als Ausdruck veränderter Botschaften gelten. Der Audiokommentar erläutert die Zusammenhänge am Beispiel mehrere Doppelseiten.

Die Hafeneinfahrt in Lindau 1935, 1942 und 1959

Das "beschauliche" Bodensee-Buch in der NS-Zeit

Mit der Ausnahme einer Aufnahme, die gezielt das Thema Wellen verfolgt, hinterlässt das Bodensee-Buch von 1942 einen friedlichen, harmonischen Eindruck.[7] Dies lässt sich mit dem Zeitpunkt der Herausgabe zusammendenken. So wurde das Buch im Jahr des Erscheinens in der Zeitung Aachener Anzeiger unter Kriegsbücher und Beschauliches besprochen:

"Daß im Krieg beschauliche Bücher eine besondere Schätzung genießen, ist kein Widerspruch. (…) (Es) sollen zwei nobel gemacht Photo-Schaubücher hier genannt sein: Lotte Eckeners schon in einer zweiten Folge erscheinende Aufnahme vom Bodensee (Friedrichshafen, Seeverlag) und die 'Schlösser an der Loire' (Dessau, Rauch), die gewiß manchem Teilnehmer des Frankreich-Feldzuges eine schöne Erinnerung bedeuten werden."[8]

Abgesehen davon, dass es wohl kaum eine schöne Erinnerung an Kriegsteilnahme war, lässt sich über diesen Kommentar das Bodensee-Buch eindeutig in einem der Heimatideologie nahestehenden Kontext verorten. Der Begriff der "Heimat" ist mit der deutschen Nationsbildung verbunden und während der NS-Zeit als Ideal positioniert, mit dem traditionelle Werte und eine Ablehnung moderner Lebensentwürfe verbunden wurden. In diesem Sinne war die Aufgabe der sogenannten Heimatfotografie "[…] the visual preservation of traditional culture as well as the desire to form an identity for the political new."[9] Laut dem Kulturhistoriker Ulrich Hägele wurden in Fotografien und Fotobüchern nicht die Realität dokumentiert, sondern insbesondere das landwirtschaftliche sowie handwerkliche Leben, Trachten und rassistische Stereotype gezeigt.[10]

Obwohl Lotte Eckener derartige Fotografien nicht selbst angefertigt hat, belegt der oben zitierte Kommentar, dass ihrem Bodensee-Buch die Funktion zugeschrieben wurde, den Betrachtenden die Schönheit der eigenen "Heimat" vor Augen zu führen. Die Bodenseeregion war wichtig für die deutsche Kriegsproduktion mit beispielsweise den für die Luftwaffe tätigen Dornier-Werken.[11] Darüber hinaus wurden Zwangsarbeitende und Kriegsgefangene in Industrie und Landwirtschaft eingesetzt – eine Lebensrealität, von der im Bodensee-Buch nichts zu sehen ist. Im Kriegsjahr 1942 kann dem Buch die Funktion zugeschrieben werden, die Menschen daran zu erinnern, was an der Front vermeintlich verteidigt wurde. Das Bodensee-Buch präsentierte nicht nur eine idyllische und unberührte "Heimat", sondern sollte eine tiefe Verbundenheit und ein Schutzbedürfnis für diese hervorrufen. Dieses Schutzbedürfnis wiederum wurde von den Nationalsozialisten politisch instrumentalisiert.[12]

Gleichzeitig präsentiert das Bodensee-Buch die Region durchgehend als internationales Gebiet, wenn Fotografien von schweizerischen und österreichischen Orten zu sehen sind. Dennoch wurden die Schlussworte von Karl Hönn zur alemannischen Lebensart und Tradition über nationale Grenzen hinaus für die Ausgabe 1942 gestrichen.

Gestaltungsmerkmale im Kontext der Zeit

Bereits Dorothea Cremer-Schacht kommt zu dem Schluss, dass sich Lotte Eckener nicht als avantgardistische Fotografin bezeichnen lässt. Trotzdem zeigt sich insbesondere am Bodensee-Buch 1935, dass Eckener einige Gestaltungsmerkmale des Neuen Sehens aufgegriffen hat, wozu Auf- und Untersichten, extreme Perspektiven oder Reihungen zählen. Nachdem Fotografien mit beispielsweise Aufsichten in den Büchern der 1940er Jahren gekürzt werden, ist ab der Ausgabe 1950 wieder ein Interesse an formaler Gestaltung zu beobachten. Diese Verschiebung deutet darauf hin, wie sich der Kontext des Bodensee-Buchs gewandelt hat, und wie Fotograf*innen wie Eckener auf die Strömungen ihrer Zeit reagiert haben. Die Audiokommentare diskutieren diese Entwicklungen anhand einzelner Bilder.

Einfluss der fotografischen Avantgarde 1935

Formales Bildinteresse ab 1950?

Das Bodensee-Buch 1963: Rückgriffe und Distanzen

Die Auseinandersetzung mit den einzelnen Fotografien macht deutlich, dass gestalterische Überlegungen sowohl die Komposition der Fotografien als auch das Arrangement der Bücher beeinflussten. Das Medium Fotografie tritt damit nicht hinter die Bildebene zurück, in dem es als transparentes Mittel lediglich die Situation vor der Kamera widerspiegelt, sondern die Gestaltung der Fotografien spielt insofern eine Rolle, dass Äste, Skulpturen oder die Landschaft durch die Fotografie selbst hervorgehoben werden.

Diese Absicht hatte Karl Hönn in seinem Text zum Bodensee-Buch ab 1942 explizit formuliert, was sich aus folgendem Zitat ablesen lässt.

"Nach den Dichtern und Malern mußte auch die Photographie versuchen, die Welt des Bodensees mit ihren Mitteln zu erfassen und künstlerisch wiederzugeben; hier mußten außer dem Rüstzeug der Technik Vertrautheit mit Land und Leuten, Einfühlungsvermögen mitbestimmend sein, um alle Stimmungsfolgen und Stimmungswerte der Landschaft, die Andacht zum Kleinen, wie die Erfassung großer Weiten im Bilde einzufangen."[13]

Die Auseinandersetzung mit den einzelnen Bildern, Motiven und ihrem Wandel im Bodensee-Buch macht deutlich, dass sich die Fotografie von Lotte Eckener im Kontext der Zeit bewegt. Warum werden ihre Fotografien dann oft als konventionell abgewertet? Welche Rolle nahm ihr Bodensee-Buch insbesondere in den Nachkriegsjahrzehnten ein? Diese Fragen greifen zwei weitere Beiträge auf, die sich mit dem Boom der Bodenseebücher und Lotte Eckeners Rezeptionsgeschichte beschäftigen.

 

Endnoten

[1] Vgl. Cremer-Schacht, Dorothea u. Siegmund Kopitzki (Hg.), Lotte Eckener. Tochter, Fotografin und Verlegerin [= Kleine Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz, hg. v. Jürgen Klöckler, Bd. 22], München: UVK Verlag 2021, S. 229.

[2] Vgl. Eskildsen, Ute (Hg.), Fotografieren hiess teilnehmen. Fotografinnen der Weimarer Republik, Ausstellungskatalog Museum Folkwang, Essen 1994.

[3] In diese Untersuchung wurden acht Ausgaben des Bodensee-Buches einbezogen (1935, 1936, 1942, 1947, 1950, 1951, 1959, 1963).

[4] Für die Audiokommentare wurde auf Informationen aus folgenden Texten zurückgegriffen: Bechstedt, Anne, Anja Deutsch u. Daniela Stöppel, „Der Verlag F. Bruckmann im Nationalsozialismus“, in: Heftrig, Ruth, Olaf Peters u. Barbara Schellewald (Hg.), Kunstgeschichte im ‚Dritten Reich‘. Theorien, Praktiken, Methoden, Berlin: Akademie Verlag 2008, S. 280–311, hier S. 284 u. 299 und Dorothea Peters, „Fotografie, Buch und grafisches Gewerbe. Zur Entwicklung der Druckverfahren von Fotobüchern“, in: Heiting, Manfred u. Roland Jäger (Hg.), Autopsie. Deutschsprachige Fotobücher 1918 bis 1945, Bd. 1, Göttingen: Steidl 2012, S. 15.

[5] Zu den biografischen Angaben zu Marlis Schoeller vgl. Cremer-Schacht, Dorothea, „Die Fotografin“, in: dies. u. Kopitzki, Lotte Eckener, S. 69–106, hier S. 93.

[6] Vgl. Peters, „Fotografie, Buch und grafisches Gewerbe“, S. 20.

[7] Auch an weiteren Fotografien lässt sich ablesen, dass Bilder aus den 1930ern in den 1950ern wieder aufgenommen wurden, wie Sturm respektive Sturm auf dem Obersee, dass in den 1940er Jahren aus dem Buch gekürzt wurde, vgl. Eckener, Lotte, Bodensee. Landschaft und Kunst, Friedrichshafen: See-Verlag 1935, S. 21 und Eckener, Lotte, Bodensee. Landschaft und Kunst, Kattenhorn: Schoeller-Bild Kunstverlag 1950, S. 91.

[8] W. E. Süskind, „Kriegsbücher und Beschauliches“, in: Aachener Anzeiger. Politisches Tageblatt, vom 28. August 1942, 71. Jg., Nr. 201, S. 2.

[9] Ulrich Hägele, „Photography, Heimat, Ideology“, in: Webster, Christopher, Photography in the Third Reich. Art, Physiognomy and Propaganda, Cambridge: Open Book Publishers 2021, S. 131–170, hier S. 132f.

[10] Vgl. ebd.

[11] Lotte Eckener hatte als Tochter des Zeppelin-Pioniers Hugo Eckener (1868–1954) und Johanna Eckener (1871–1956), geb. Maaß, einen privaten Bezug zu der Luftfahrtindustrie am Bodensee. Hugo Eckener war für die Luftschiffbau Zeppelin GmbH tätig, aus der sich die Dornier-Werke abspalteten.

[12] Deutschlands Rolle im Zweiten Weltkrieg und die Verbrechen des NS-Regimes werden in späteren Ausgaben kaum reflektiert. Der neue Text von Heiner Ackermann geht nur mit Andeutungen auf die jüngste Geschichte ein: „Der Boden ist mit Blut getränkt, gedüngt mit feuerbrünstiger Asche. Immer wieder jedoch ist Gras darüber gewachsen, Gras …“. Diese euphemistische Beschreibung der NS-Verbrechen und deren Folgen spiegelt die Tendenz vieler Nachkriegswerke wider, die direkte Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit zu vermeiden oder zu verharmlosen, vgl. Eckener, Bodensee, S. 6.

[13] Eckener, Lotte, Bodensee. Landschaft und Kunst, Friedrichshafen: See-Verlag 1942, S. 8.

Über die Autorin

Clara Bolin ist Kunst- und Fotohistorikerin und im Jahrgang 2023–2025 als Stipendiatin im Programm Museumskurator*innen für Fotografie der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung in der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums tätig. Ihr Interesse an Lotte Eckener schließt an frühere Projekte zur Fotografie der Nachkriegszeit und der Rolle von Fotograf*innen an.

Datum der Veröffentlichung
27. Juni 2024


Besuchsinformation

Öffnungszeiten

Die Ausstellungen des Münchner Stadtmuseums sind aufgrund der Generalsanierung aktuell geschlossen. Das Kino des Filmmuseums und das Stadtcafé bleiben weiterhin wie gewohnt bis Juni 2027 in Betrieb.

Informationen zur Von Parish Kostümbibliothek in Nymphenburg

Filmmuseum – Vorstellungen
Dienstag / Mittwoch 18.30 Uhr und 21.00 Uhr
Donnerstag 19.00 Uhr
Freitag / Samstag 18.00 Uhr und 21.00 Uhr
Sonntag 18.00 Uhr

Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln

S/U-Bahn Station Marienplatz
U-Bahn Station Sendlinger Tor
Bus 52/62 Haltestelle St.-Jakobs-Platz

Kontakt

St.-Jakobs-Platz 1
80331 München
Tel. +49-(0)89-233-22370
Fax +49-(0)89-233-25033
E-Mail stadtmuseum(at)muenchen.de
E-Mail filmmuseum(at)muenchen.de

Kinokasse Tel. +49-(0)89-233-24150