Lotte Eckener (1906–1995) war eine deutsche Fotografin und Verlegerin, die zwischen den 1930er und 1960er Jahren überwiegend am Bodensee tätig war. Eine Einführung in ihre Arbeit und eine Einordnung des Bestands in der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums finden Sie in Im Fokus: Lotte Eckener und das Münchner Stadtmuseum. Lotte Eckener veröffentlichte zwischen 1935 und 1963 das Fotobuch Bodensee. Landschaft und Kunst. Eine Diskussion der Entwicklung des Buches über vier Jahrzehnte hinweg können Sie lesen in Lotte Eckener: Das Bodensee-Buch durch die Jahrzehnte.

Neben Lotte Eckener, die gebürtig vom Bodensee stammte, waren auch Jeannine LeBrun (1915–1977) und Erna Stübel (o. A.) seit den 1930er Jahren dort tätig und Heinz Hajek-Halke (1898–1983) war nach seiner Zeit als Fotograf bei den Dornier-Werken bis 1955 am Bodensee ansässig.[1] Siegfried Lauterwasser (1913–2000) führte das Familienatelier in Überlingen weiter, während Toni Schneiders (1920–2006) erst in Meersburg und dann in Lindau tätig war.[2] Viele dieser Fotograf*innen produzierten ebenso wie Eckener Fotografien für Fotobücher, die sich mit Städten und Landschaften um den Bodensee auseinandersetzen. Es lässt sich daher danach fragen, inwiefern sich diese Bücher von Eckeners Bodensee-Buch unterscheiden.

Eine fotografische Entdeckungsreise um den Bodensee?

Ab 1950 hebt sich das Bodensee-Buch durch eine Besonderheit hervor: Der Einband zeigt eine Karte des Bodensees, die das Gebiet als Teil des Dreiländerecks zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz darstellt, inklusive wichtiger Städte, Flüsse und Seeabschnitte. Mit der Einbindung der Karte drängt sich die Frage nach der Gliederung des Buches auf.

Ordnet mensch die abgebildeten Orte in ihrer Reihenfolge geografisch an, ergibt sich eine grobe Route um den See herum. Diese Route variiert zwar in den verschiedenen Ausgaben, doch die Version von 1950 präsentiert eine besonders schlüssige Rundreise, beginnend im Westen des Sees, entlang des Nordufers über umliegende Regionen bis nach Bregenz, und endet schließlich nach Durchquerung der Südseite in Konstanz.

Das Konzept einer Reise wird durch direkte Ansprachen im Text von Heiner Ackermann unterstützt, die die Lesenden zum Weiterblättern und damit zur Fortsetzung der Reise animieren. Einzelne Aussagen nehmen dabei direkten Bezug auf die Bildebene: "Sieh das Kapellchen am Schloß Kattenhorn!"[3]

Dem ersten Eindruck, das Buch würde gleich einer fotografischen Reise den Bodensee umkreisen, wird die Bildabfolge nur bedingt gerecht. Zwar werden Fotografien nach Orten gruppiert, eine detaillierte Erkundung einzelner Städte und Sehenswürdigkeiten ermöglichen diese Abfolgen jedoch nicht. So zeigt sich 1950 die Darstellung des Ortes Meersburg in fünf aufeinanderfolgenden Fotografien: eine Ansicht vom See aus, eine Holzschnitzerei aus der Unterstadt-Kapelle, eine Ansicht des Tores der Meersburg selbst, ein dort lokalisiertes Zimmer, in dem die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848) ab 1841 lebte, und ein Blick über die Stadt auf den See. Diese Abfolge der Fotografien kann in ihrer Struktur – vom See in die Stadt, einzelne Gebäude und wieder einen Blick auf den See – exemplarisch für diejenigen Orte stehen, denen eine größere Bedeutung zugesprochen wird.

Andere Orte werden jedoch nur durch einzelne historische Wahrzeichen, Kunstgegenstände oder Landschaftsmerkmale repräsentiert. Die österreichische Stadt Bregenz beispielsweise ist mit einer einzigen Aufnahme vertreten, die den Martinsturm zeigt. Dieser zählt noch heute zu den bekanntesten Wahrzeichen der Stadt, mit dem beispielsweise auf der Website der Stadt geworben wird.

Fotobücher vom Bodensee

Sowohl Siegfried Lauterwasser, Jeannine LeBrun als auch Toni Schneiders publizierten in den 1950er Jahren Fotobücher vom Bodensee. Diese Bücher haben gemeinsam, dass sie im Jan Thorbecke Verlag erschienen, der 1948 von Jan Thorbecke (1912–1963) mit Sitz in Lindau gegründet worden war. Der Verlag führte in den 1950er Jahren die Reihe der Bilderbücher, deren Bände teils als Bilderbücher Süddeutschland, Reihe Bodensee und teils als Die Bücher vom Bodensee nummerisch fortgeführt wurden und sich an Tourist*innen richteten.

Die schmalen Bände mit einem Hardcover fokussieren sich in der Regel auf eine Stadt, wie Lindau, Konstanz, Meersburg oder Überlingen. Als Reihentitel sind sie insbesondere durch ihr Gestaltungsbild wiederzuerkennen, den Einband prägt stets eine Grafik von einem repräsentativen Gebäude. Auch im Inneren wiederholt sich der Aufbau: Eine Stadtkarte mit Straßennamen und wichtigen Gebäuden unterstützt die Lokalisierung der Fotografien, denen stets beschreibenden Titel beigegeben sind.

Lindau, Konstanz, Bodensee – Ein Bildvergleich

Die Audiokommentare diskutieren Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Bücher im Thorbecke Verlag und Eckeners Bodensee-Buch: Während die Infrastruktur und Gestaltung voneinander abweicht, lassen sich Parallelen in Bildauswahl und Kompositionen feststellen. Dabei muss jedoch der unterschiedliche Aufbau der Bücher bedacht werden.[4]

Die infrastrukturelle Dimension

Die gestalterische Dimension

Die inhaltliche Dimension

Bildmotive im Vergleich

Der Bodensee im Tourismus

Die wiederholte Darstellung von zentralen Wahrzeichen legt nahe, sämtliche Fotobücher in einem touristischen Kontext zu verorten. Mit der aufkommenden Reisebewegung Ende des 18. Jahrhunderts begann auch das touristische Interesse am Voralpenraum mitsamt dem Bodensee, das bis heute anhält.[5]

Die touristische Bildlandschaft des Bodensees, einschließlich Holzschnitte und Vedutenmalereien, wurde zwar in neueren Ausstellungen thematisiert, Fotografie jedoch nicht miteingeschlossen.[6] Nachdem die Fotografie ab den 1840er Jahren für touristische Zwecke genutzt wurde, begünstigten technische Weiterentwicklungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Anstieg in der Reisefotografie und deren kommerzielle Verwendung. Beispielhaft dafür kann ein Album aus der Sammlung des Münchner Stadtmuseums stehen: Das Album von Lindau im Bodensee erschien 1873 im Verlag von Wilhelm Ludwigs Buchhandlung Lindau.[7] Der Audiokommentar erklärt den Aufbau des Albums.

Das Album von Lindau im Bodensee

Bildkonventionen im medialen Transfer

Die fotografische Konstruktion der Bodenseelandschaft steht in einer touristischen Bildtradition. Die Druckgrafiken, Veduten und Broschüren zeigen zwei Darstellungsmodi, die auch bei den Fotografien bereits angesprochen wurden: Der Blick vom See auf das Uferpanorama und eine leicht erhöhte Aufnahmeposition aus dem Hinterland mit Blick auf Stadt und See. Weitere Motive wie Hafenbecken, Segelboote, Möwen und schneebedeckte Berge, aber auch die Motorschiffe, Schwäne und Obstbäume können als kanonisierte, also festgesetzte, touristische Motive des Bodensees gelten.[8] Das touristische Dispositiv[9] fordert eine gewisse Auswahl an Motiven mit sich wiederholenden Kompositionen. Daraus können einerseits die kulturellen und gesellschaftlichen Erwartungen in Bezug auf Reisen und das Landschaftsbild geschlussfolgert werden. Andererseits begrenzt dies die fotografischen Möglichkeiten dessen, was in der Landschaftsfotografie Mitte des 20. Jahrhundert darstellbar gewesen ist: Was sehen wir? Und was sehen wir nicht?

Bei den Landschaftsfotografien von Lotte Eckener fällt insbesondere auf, wie oft sie Wolken hervorgehoben oder aus dem Bild herausretuschiert hat. Im Video spricht der Künstler und Buchgestalter Helmut Völter über Lotte Eckeners Umgang mit Wolken.

Boom des Bodensee-Buchs

Unabhängig von ihrer Gestaltung waren sämtliche der genannten Fotobücher in den 1950er Jahren stark nachgefragt, was sich daran ablesen lässt, dass mehrere (Neu-)Auflagen gedruckt wurden.[10] Lotte Eckeners 1950 erschienenes Bodensee-Buch wurde 1951 in leicht überarbeiteter Form veröffentlicht, wodurch zusammengenommen 14.000 Exemplaren auf dem Markt zirkulierten. [11] Dies stellt in der Nachkriegszeit eine enorm hohe Auflagenhöhe dar und belegt das Interesse an Fotobüchern vom Bodensee in der Nachkriegszeit. Die touristischen Bilder sparen den unangenehmen Nachkriegsalltag mit der Erinnerung an die Kriegsverbrechen, die ökonomischen Herausforderungen wie die zerstörten Innenstädte oder die gesellschaftlichen Konflikte der jungen Bundesrepublik aus. In einem Jahrzehnt, in dem der "Heimatfilm" boomte, erleichterten die Fotobücher die imaginäre Rückkehr in vorindustrielle Zeiten. Als Souvenir an eine Reise an den Bodensee waren sie eine willkommene Ablenkung von weltlichen Themen, an denen mensch teils selbst als Täter*in beteiligt gewesen war.

Trotz der hohen Auflagenzahlen und Verkaufserfolge ihrer Bücher ist Lotte Eckener heute keine bekannte Fotografin – im Gegensatz zu Siegfried Lauterwasser oder Toni Schneiders, die ähnliche Fotobücher im Thorbecke Verlag veröffentlichten. Ein weiterer Beitrag setzt sich daher kritisch mit Lotte Eckeners Rolle in der Fotogeschichtsschreibung und dessen Bedeutung für die Sammlungsarbeit auseinander.

 

Endnoten

[1] Zu Jeannine LeBrun vgl. beispielsweise Dorothea Cremer-Schacht: „Ihre Liebe galt den schönen Dingen des Lebens. Ein Portrait über die Fotografin Jeannine Le Brun“, in: Jahrbuch des Landkreises Lindau, 22. Jg., Aulendorf/Bergatreute 2007, S. 58–69. Ein größerer Bestand liegt im Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte, Bildarchiv Foto Marburg. Zu Heinz Hajek-Halke vgl. Ruetz, Michael (Hg.), Der Alchimist. Heinz Hajek-Halke, Ausstellungskatalog Akademie der Künste, Berlin, Göttingen: Steidl 2012.

[2] Zu Lauterwasser und Schneiders vgl. Lauterwasser, Alexander, Augen-Blicke. Das Lebenswerk des Überlinger Photographen Siegfried Lauterwasser, Überlingen: Foto Lauterwasser 2013; Lux, Sebastian (Hg.), Schaut her! Toni Schneiders, Ausstellungskatalog Stiftung F. C. Gundlach, Hamburg u. Versicherungskammer Kulturstiftung, München, Göttingen: Steidl 2020; Pohlmann, Ulrich u. Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth (Hg.), Toni Schneiders, Photographien 1946–1980, Ausstellungskatalog Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum, Schirmer/Mosel 1999.

[3] Text von Heiner Ackermann in Eckener, Lotte, Bodensee. Landschaft und Kunst, Kattenhorn: Schoeller-Bild Kunstverlag 1950, S. 15.

[4] Ein Audiokommentar verweist auf den Gondelhafen, der im 19. Jahrhundert gemeinsam mit zwei Aussichtstürmen, der Schwanenkolonie und einem Musikpavillon den Erlebniswert steigern sollte, vgl. Werner Trapp, Mit Blick auf See und Gebirge. Der Bodensee – Bilder vom Wandel einer touristischen Landschaft, Karlsruhe: G. Braun 2002, S. 16.

[5] Zur Tourismusgeschichte des Bodensees vgl. Engelsing, Tobias, „‘Wir lebten im Zauber einer anderen Welt‘. Die literarische und touristische Erschließung der Landschaft zwischen Säntis und Rheinfall“, in: ders. (Hg.), Idyllen zwischen Berg und See. Die Entdeckung von Bodensee und Voralpenraum, Ausstellungskatalog Rosgartenmuseum, Konstanz, Südverlag 2021, S. 8–63.

[6] So zeigte das Rosgartenmuseum in Konstanz 2021 Idyllen zwischen Berg und See, wo sie insbesondere frühe druckgrafische Bilder rund um den Bodensee zeigten, vgl. Engelsing (Hg.), Idyllen zwischen Berg und See. Eine weitere Ausstellung am Museum Lindwurm in Stein am Rhein thematisierte 2019 die Tourismuswerbung über Grenzen 1890 bis 1950, wobei im Sinne einer visual history ephemere Druckerzeugnisse wie Werbeprospekte, Karten oder Plakate von Bodensee und Rhein untersucht wurden, vgl. Elisabeth Schraut, Bodensee und Rhein. Tourismuswerbung über Grenzen 18901950, Museum Lindwurm, Stein am Rhein, 2019.

[7] Vgl. Anzeige in Lindauer Tagblatt für Stadt und Land, vom 22. November 1873, Nr. 274, o. P. Bereits 1867 annoncierte der Verlag M. Riegersche Buch- und Kunsthandlung ein Album von Lindau mit sechs Visitkarten, vgl. Anzeige in Lindauer Tagblatt für Stadt und Land, vom 19. Juli 1867, Nr. 170, S. 798. Einige Albenseiten tragen auf der Rückseite eine handschriftliche Notiz, die das Jahr 1877 angibt, wobei es sich möglicherweise um den Besuchszeitpunkt der Schreibenden handelt.

[8] Zu den Obstbäumen und Motorschiffen vgl. Engelsing „‘Wir lebten im Zauber einer anderen Welt‘“, S. 8–63, hier S. 22 u. Schraut, Bodensee und Rhein, S. 11. Die Schwäne diskutiert Trapp, Mit Blick auf See und Gebirge, S. 10 u. 16.

[9] Der Begriff des Dispositivs geht auf den Philosophen Michel Foucault zurück und bezeichnet die Summe an Institutionen, Gesetzen, Diskursen und sozialen Praktiken, über die Wissen produziert und Macht ausgeübt wird, vgl. Colas, D. u. a., „Le jeu de Michel Foucault“, in: Ornicar? Bulletin périodique du champ freudien, Nr. 10, 1977, S. 62–93.

[10] Toni Schneiders Lindau erschien beispielsweise 1950, 1952 und in einer Neuauflage 1959.

[11] Bis zu einer weiteren Ausgabe des Bodensee-Buches dauerte es bis 1959, wobei Eckener in der Zwischenzeit von 1954 bis 1958 in drei Auflagen mit einer Gesamthöhe von 20.000 Exemplaren Das kleine Buch vom Bodensee im Verlag Simon und Koch veröffentlichte.

Über die Autorin

Clara Bolin ist Kunst- und Fotohistorikerin und im Jahrgang 2023–2025 als Stipendiatin im Programm Museumskurator*innen für Fotografie der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung in der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums tätig. Ihr Interesse an Lotte Eckener schließt an frühere Projekte zur Fotografie der Nachkriegszeit und der Rolle von Fotograf*innen an.

Datum der Veröffentlichung
27. Juni 2024


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