Das Foto zeigt, am Rande einer erhöhten Wiese aufgenommen, einen See mit einem Segelboot. Darüber liegt ein fast wolkenloser Himmel. Während am unteren Bildrand die Blumen blühen, rahmen am rechten und linken Bildrand Bäume den Panoramablick ein. Die Szenerie, mit ihrer Kombination aus üppigem Grün, freiem Himmel und der stillen Oberfläche des Sees, strahlt auf den ersten Blick eine beinahe perfekte Idylle aus. 

Bei genauerer Betrachtung jedoch offenbaren sich Bearbeitungsspuren an den Blüten und Stielen der Blumen sowie Schnittmarken am rechten Rand des Bildes. Ein beigefügtes transparentes Zeichenpapier mit Anmerkungen wie "Wasser u. Himmel etwas heller" deutet auf geplante Nachbearbeitungen hin, die den idyllischen Eindruck perfektionieren sollen.

Diese Fotografie stammt von der deutschen Fotografin Lotte Simon-Eckener (1906–1995). In der Fotosammlung des Münchner Stadtmuseums befinden sich insgesamt etwas über 600 Fotografien von Lotte Eckener, die auf verschieden Eingänge zurückgehen. Im Rahmen der Ausstellung Lehrjahre Lichtjahre. Die Münchner Fotoschule 1900–2000 wurden 2001 zehn Fotografien erworben (Inv.-Nr. 2001/24.1–9 und FM-2001/383); weitere 89 Fotografien gingen als Schenkung in die Sammlung ein (Inv.-Nr. FM-2001/176.1–89). 

Die Verbindung zur Ausstellung Lehrjahre Lichtjahre. Die Münchner Fotoschule 1900–2000 ergab sich über Eckeners Ausbildungszeit an der Schule in den 1920er Jahren.

Im Anschluss daran arbeitete sie mehrere Jahre im fotografischen Atelier Binder in Berlin, in dem v. a. Porträt- und Werbefotografie angefertigt wurde. Ab den 1930er Jahren war sie wieder wohnhaft in ihrem Herkunftsort Friedrichshafen, ab 1936 in Konstanz – zwei Städte am Bodensee. 

Zu den 2001 eingegangen Fotografien zählen Aufnahmen, die in Eckeners erstem Fotobuch erschienen, wie die Fotografie eines Kiefernstammes. Die Welt der Bäume wurde 1933 gemeinsam mit Gedichten von Walter Bauer[1] im Berliner Cassirer Verlag veröffentlicht. 

Lotte Eckener in der Fotosammlung des Münchner Stadtmuseum

Lotte Eckeners Bindung an München, geprägt durch ihren Ausbildungsort, bereichert die Sammlung auf vielfältige Weise. Zusätzlich zu Arbeiten internationaler Fotograf*innen beinhaltet die Sammlung einen regionalen Schwerpunkt auf den süddeutschen Raum mit Fotograf*innen wie Regina Relang (1906–1989), Dimitri Soulas (*1938) oder Stefan Moses (1928–2018). Mit ihrem Schaffensmittelpunkt am Bodensee vertieft Eckener diese regionale Ausrichtung. Während Regina Relang als Modefotografin arbeitete und Dimitri Soulas sowie Stefan Moses vorrangig als Fotojournalisten tätig waren, widmete sich Lotte Eckener der Landschaftsfotografie. Darüber hinaus lassen sich Eckeners Fotografien mit mehreren thematischen Sammlungsschwerpunkten in Bezug setzen: der Druckgeschichte der Fotografie, der fotografischen Avantgarde der Nachkriegszeit und Reisefotografie, zu der ein umfangreicher Bestand vorliegt. 

Die bisherige Auseinandersetzung mit Fotografien von Lotte Eckener am Münchner Stadtmuseum beschränkt sich auf Arbeiten aus den 1920er Jahren, die in drei Ausstellungen gezeigt und in den dazugehörigen Katalogen besprochen wurden.[2]

Dazu zählt auch das Stillleben mit Gläsern und Zitronen, das Katharina Täschner als Ausdruck von Eckeners "[…] präzisen Sinn für die Ästhetik des modernen Gebrauchsobjekts […]" beschreibt.[3] Größere Aufmerksamkeit erhielt Lotte Eckener mit der Ausstellung Lotte Eckener. Tochter, Fotografin und Verlegerin 2021 und 2022 im Hesse Museum Gaienhofen und dem Museumsberg Flensburg. Parallel dazu erschien ein gleichnamiges Buch, herausgegeben von der Kuratorin und Autorin Dorothea Cremer-Schacht und dem Journalisten Siegmund Kopitzki, dessen biografische Aufarbeitung grundlegend für diese Auseinandersetzung mit Eckener ist.[4]

Neben den bereits beschriebenen Fotografien befindet sich seit 2001 ein bisher unbearbeitetes Konvolut von ca. 530 Fotografien und Objekten in der Sammlung. Im Zuge meiner Auseinandersetzung mit Lotte Eckener wurde dieses offiziell von Lotte Eckeners Erben, ihrem Neffen Uwe Eckener, geschenkt und von Seiten der Sammlung inventarisiert (FM-2024/3.1–510), versorgt und digitalisiert. Es handelt sich dabei überwiegend um Schwarz-Weiß-Abzüge, jedoch sind auch 21 Postkarten, acht Farbfotografien, ein Negativ, sieben Kontaktbögen sowie 14 Drucke Teil des Konvolutes. Darüber hinaus wurde der Bestand der Fotobibliothek um einige Ausgaben des Bodensee-Buches erweitert. Damit handelt es sich bei dem Konvolut um den Hauptbestand von Lotte Eckener in einem musealen Kontext; weitere Fotografien und Materialien befinden sich in Privatbesitz. Einen Querschnitt durch den Bestand gibt die Sammlung Online.

Gedruckte Fotografie

In einer Statistik von 1951 zählt der Handwerkerverband 130.000 Frauen als Inhaberinnen von Ateliers, was einem Siebtel aller Betriebsführenden entsprach.[5] Lotte Eckener dürfte in diese Statistik nicht eingegangen sein: Während ihrer gesamten Berufslaufbahn zwischen den 1920er und den 1970er Jahren betrieb sie zu keinem Zeitpunkt ein eigenes Atelier. Auch in anderen Bereichen, die Fotografinnen eine Plattform boten – wie Mitgliedschaften in Vereinigungen, Teilnahmen an Einzel- oder Gruppenausstellungen – blieb Lotte Eckener im Hintergrund.[6] Ihr bevorzugtes Medium war das Fotobuch, allen voran das Buch Bodensee. Landschaft und Kunst, das laut Dorothea Cremer-Schacht in 14 Auflagen zwischen 1935 und 1963 veröffentlicht wurde.[7]

Das am Stadtmuseum vorhandene Konvolut von Lotte Eckener umfasst verschiedene, auf Fotografie basierende Materialien: Abzüge und Postkarten, Drucke und Fotobücher. Alle diese Formate haben gemeinsam, dass es sich um Fotografie als gedrucktes Bild handelt.

Fotografie als Medium begegnet uns täglich in verschiedenen Formaten. Vor der Verbreitung des Smartphones und der Zirkulation vernetzter Bilder über das Internet, war der geläufigste Berührungspunkt mit Fotografie seit den 1920er Jahren das gedruckte Bild – sei es in Zeitungen, Zeitschriften, Kalendern, Broschüren, Plakaten, Postkarten oder Fotobüchern. Die Fotografien von Lotte Eckener bilden einen Ausgangspunkt, um den Transfer vom fotografischen Abzug in das gedruckte Bild nachzuvollziehen. Dies bedeutet, die einzelnen Objekte nicht nur hinsichtlich ihrer Bildebene zu untersuchen, sondern auch die Materialität zu berücksichtigen. 

Ein materialgeschichtlicher Ansatz

In den letzten Jahrzehnten haben verschiedene wissenschaftliche Felder, einschließlich der Kunstgeschichte, der materiellen Dimension von Objekten verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt. In der Fotografiegeschichte wird der Einfluss von technischen Verfahren und Geräten wie unterschiedlichen Kameras auf das Bild schon länger anerkannt. Ein materialgeschichtlicher Ansatz, wie ihn unter anderen die britische Anthropologin und Fotohistorikerin Elizabeth Edwards vertritt, würdigt hingegen die materiellen Aspekte von Fotografien, ihre Herstellungsprozesse, Verbreitung und Rolle in sozialen sowie historischen Zusammenhängen.[8​​​​​​​]

Bei der Untersuchung von Lotte Eckeners Werk spielt die Materialgeschichte ihrer Fotografien eine zentrale Rolle, wobei sowohl die Vorder- als auch die Rückseiten der Bilder bedeutsam sind. Die Vorderseiten präsentieren vorrangig Motive aus der Bodenseeregion und umfassen zudem etwa 120 Dubletten, also Motive, die in variierenden Ausführungen oder Formaten vorliegen. Charakteristisch sind die auf einigen Abzügen vorgenommenen Retuschen: Dunkler gestaltete Äste mittels Retuschefarbe, aufgehellter Schnee, sowie hinzugefügte oder entfernte Wolken durch großflächige Übermalungen. Zudem sind Beschnitte auf den Bildern markiert. 

Diese Bearbeitungen korrespondieren oft mit Anmerkungen und Instruktionen auf den Rückseiten der Fotos oder auf beigefügtem transparentem Zeichenpapier. Hier lassen sich handschriftliche Notizen finden, die Änderungen an bestimmten Bildaspekten vorschlagen oder weitere Angaben zu Maßen, Beschnittlinien oder der Platzierung für den Druck enthalten. Der Künstler und Buchgestalter Helmut Völter spricht im Video über die Arbeitsprozesse, die sich an Lotte Eckeners Fotografien ablesen lassen.

Aus den Retuschen, Kommentaren und den Doubletten lässt sich schlussfolgern, dass diese Fotografien als Arbeitsmaterialien dienten. Durch die Betrachtung verschiedener Abzüge oder den Bezug zu den Publikationen wird ersichtlich, wie diese Anpassungen realisiert wurden. Auf den im Privatbesitz befindlichen Negativen findet sich keine Retusche, woraus gefolgert werden kann, dass Lotte Eckener vor allem mit den Abzügen gearbeitet hat. Ein objektgeschichtlicher Ansatz ermöglicht somit ein tieferes Verständnis für die Entstehungs- und Bearbeitungsprozesse von Eckeners Fotografien.

Stempel als Quellen

Neben den Retuschen, Beschnitten und Kommentaren bergen die Rückseiten der Fotografien noch ein weiteres Merkmal, aus dem sich Schlüsse über Lotte Eckeners Arbeit ziehen lassen. Stempel können als Quellen dienen: Sie bezeugen eine Autor*innenschaft, machen eine zeitliche oder geografische Einordnung möglich, geben Einblicke in politische Kontexte oder zeigen etwas über die Entwicklung des Stempel(n)s selbst auf. Die Audiokommentare erklären die Stempel.

Lotte Eckener als Fotografin

Adressstempel – Angaben von Ort und Zeit

Lotte Eckener als Verlegerin

Lotte Eckeners Konvolut nimmt im Gesamtvolumen der fotografischen Sammlung des Münchner Stadtmuseums eher einen kleinen Umfang ein. Dennoch lohnt sich eine Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit ihrem Material, weil daraus Schlüsse über die medialen Praktiken rund um Fotografie in der Mitte des 20. Jahrhunderts gezogen werden können. Deshalb widmen sich drei weitere Artikel der Entwicklung des Bodensee-Buches, seiner Bedeutung im touristischen Diskurs der Nachkriegszeit sowie der Rolle und Rezeption von Lotte Eckener im Umfeld der Fotografie am Bodensee der Nachkriegszeit.

 

Endnoten

[1] Walter Bauer (1904–1976) war ein deutscher Schriftsteller, der vom Cheflektor des Bruno Cassirer Verlages gefördert wurde. Nach der Machtergreifung der NSDAP 1933 erhielt er zwischenzeitlich Schreibverbot und seine vor 1933 gedruckten Bücher wurden nicht mehr verlegt, vgl. Hess, Günther, Walter Bauer. Ein Lebensweg von Merseburg nach Toronto, Halle a. d. Saale: Mitteldeutscher Verlag 2018.

[2] Vgl. Pohlmann, Ulrich u. Rudolf Scheutle (Hg.), Lehrjahre Lichtjahre. Die Münchner Fotoschule 1900–2000, Ausstellungskatalog Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum, München: Schirmer/Mosel 2000, S. 96–97 u. 261; Pohlmann, Ulrich (Hg.), Stilles Leben 1910–2008. Wenn die Dinge träumen. Stillleben aus der Sammlung Fotografie, Ausstellungskatalog Münchner Stadtmuseum, München 2008, S. 11 u. 19; Die Ausstellung Welt im Umbruch wurde 2020/2021 am Münchner Stadtmuseum gezeigt, Lotte Eckener jedoch nicht im Katalog erwähnt, vgl. Baumstark, Kathrin u. Ulrich Pohlmann (Hg.), Welt im Umbruch. Kunst der 20er Jahre, Ausstellungskatalog Bucerius Kunstforum, Hamburg, Münchner Stadtmuseum, München: Hirmer 2019.

[3] Täschner, Katharina, „Entschleunigung der Dinge“, in: von der Haar, Frauke u. Lothar Schirmer (Hg.), Ulrich Pohlmann. Fotografie sammeln 1991–2022, München: Schirmer/Mosel 2023, S. 150–151.

[4] Cremer-Schacht, Dorothea u. Siegmund Kopitzki (Hg.), Lotte Eckener. Tochter, Fotografin und Verlegerin [= Kleine Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz, hg. v. Jürgen Klöckler, Bd. 22], München: UVK Verlag 2021.

[5] O. A., "Frauen im Handwerk", in: Photo-Presse, 6. Jg., Nr. 13, 1951, S. 7.

[6] Vgl. Bolin, Clara, "Wo sind sie? Fotografinnen in den 1950er Jahren. Gespräch mit Dorothea Cremer-Schacht, Stefanie Grebe, Thomas Morlang und Ina Neddermeyer zu Forschungsstand und Forschungslücken", in: Fotogeschichte, Themenheft Vom Lichtbild zum Foto. Zur westdeutschen Fotoszene der 1950er Jahre, 43. Jg., Nr. 169, 2023, S. 43–51.

[7] Sämtliche Ausschnitte zur Biografie sind dem Band von Cremer-Schacht u. Kopitzki, Lotte Eckener, S. 229 entnommen.

[8] Edwards, Elizabeth u. Janice Hart, "Photographs as Objects", in: dies. (Hg.), Photographs Objects Histories. On the Materiality of Images, New York u. London: Routlegde 2004, S. 1–15, hier S. 1.

Über die Autorin

Clara Bolin ist Kunst- und Fotohistorikerin und im Jahrgang 2023–2025 als Stipendiatin im Programm Museumskurator*innen für Fotografie der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung in der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums tätig. Ihr Interesse an Lotte Eckener schließt an frühere Projekte zur Fotografie der Nachkriegszeit und der Rolle von Fotograf*innen an.

Datum der Veröffentlichung
27. Juni 2024


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