Rückgabe von Leihgaben an Bea Green

Die Provenienzforscherin Dr. Regina Prinz war im September 2023 für die Rückgabe von Leihgaben aus der Dauerausstellung "Nationalsozialismus in München" zu Besuch in London. Dort gab sie Medaillen und Ehrenabzeichen des jüdischen Rechtsanwalts Michael Siegel (1882 Arnstein – 1979 Lima) an dessen Tochter Bea Green (*1925) zurück.

Dr. Regina Prinz führte im Rahmen der Rückgabe und des damit verbundenen Besuchs ein Interview mit der heute 98-Jährigen. Darin berichtet Bea Green, wie sie den brutalen Angriff auf ihren Vater erlebte, dessen Fotografie 1933 um die Welt ging, wie sie mit 14 Jahren in England ankam und wie ihr Verhältnis zu Bayern und Deutschland ist.

Die Fotografie von Michael Siegel zeigt, wie er barfuß und mit abgeschnittenen Hosenbeinen von SA-Truppen durch die Straßen von München getrieben wird. Auf dem Schild, das er auf der Fotografie in den Händen trägt, ist die Aufschrift zu lesen "Ich werde mich nie mehr bei der Polizei beschweren". Das Bild ist eines der ersten Zeugnisse der frühen 1930er Jahre, das die zunehmenden antisemitischen Ausschreitungen und Diskriminierungen in Deutschland sichtbar machte und trug maßgeblich dazu bei die NS-Gräuel bekannt zu machen. Das Foto wurde seitdem mehrfach retuschiert, weshalb die Beschriftung auf dem Schild variieren kann.

Michael Siegel war im Auftrag seines Mandanten Max Uhlfelder (mehr Informationen zu Max Uhlfelder) zur Münchner Polizei gegangen, um eine Anzeige zu erstatten. Am Tag zuvor hatten NS-Sturmtruppen die Schaufenster des Kaufhauses von Max Uhlfelder zerstört. Auf der Polizeiwache verprügelten SA-Angehörige Michael Siegel so stark, dass ihm das Trommelfell platzte und Zähne ausfielen. Anschließend trieben sie ihn als abschreckendes Beispiel durch die Straßen Münchens. Michael Siegel und seine Frau Mathilde schafften es im Jahr 1940 nach Peru zu emigrieren. Die beiden Kinder Hans-Peter (1921–2010) und Maria Beate (*1925) gelangten 1939 nach England, Maria Beate (Bea) im Alter von 14 Jahren mit einem Kindertransport. Die Kinder blieben nach dem Krieg in England, Michael Siegel verstarb 1979 in Lima.

Das Münchner Stadtmuseum zeigte bis vor Kurzem in seiner Dauerausstellung "Nationalsozialismus in München" Medaillen und Ehrenabzeichen Michael Siegels, die von dessen gesellschaftlicher Relevanz in München zeugen. Mit dem Abbau der Ausstellung in Vorbereitung der Generalsanierung wurden die Leihgaben aus der Ausstellung wieder an ihre Leihgeber*innen zurückgegeben.

Bea Green berichtet Dr. Regina Prinz von ihrer Erinnerung an den Moment, als ihr Vater von den SA-Truppen misshandelt nach Hause kam:

 

Transkript des Interviews mit Bea Green

I’m so glad I am who I am.
I am now 98 years old, and I am talking about just 90, 90! years ago. It’s a long time. And life was very different.

I was eight years old, when they beat up my dad. And I was at home with a cold, and I heard the front door, but nobody came in. I thought my mum had gone shopping and she’d come in. So, I got up, and I saw my fathers’ clothes hanging outside the bathroom, where he had a hanger and hooks. And they were torn and black with dried blood. So, I walked along the corridor to their bedroom, their bedroom door was shut. Which normally it wasn’t during the day. I opened the handle and I saw my dad pull up his bed, I suppose so I couldn’t see his injured face and said "Warte bis deine Mutter nach Hause kommt!" What? It’s not 'deine Mutter' – It’s 'Mutti'! Very Formal.
That’s my bit of history.

I’m touched that it has been possible for me to sit here, age 98, talking to eine Münchnerin. Just… miraculous.

Transkript des Interviews – Deutsche Übersetzung

Ich bin sehr froh, dass ich bin, wer ich bin.
Ich bin jetzt 98 Jahre alt und rede von einer Zeit, die sage und schreibe 90 Jahre her ist! Das ist lang. Und damals war das Leben ganz anders.

Ich war acht, als mein Vater zusammengeschlagen wurde. Ich hatte eine Erkältung und war zuhause, als die Haustür ging. Aber niemand kam zu mir ins Zimmer. Ich dachte, meine Mutter sei vom Einkaufen zurückgekommen. Also stand ich auf, und da sah ich die Sachen meines Vaters, die zerfetzt und blutverkrustet auf seinem Kleiderbügel und den Haken vor dem Badezimmer hingen. Ich lief den Korridor entlang zum Schlafzimmer meiner Eltern, die Tür war zu. Gewöhnlich stand sie tagsüber offen. Ich drückte die Klinke auf und sah, wie sich mein Vater unter der Bettdecke verkroch – wahrscheinlichsollte ich sein zerschundenes Gesicht nicht sehen. Er sagte: "Warte bis deine Mutter nach Hause kommt!" Was? Wieso denn 'deine Mutter' – und nicht 'Mutti'! Es klang so formell.
Das ist mein Stück Geschichte.

Es rührt mich, mit 98 Jahren hier zu sitzen und mit einer Münchnerin sprechen zu können. Es ist... ein kleines Wunder.

Bea Green wünschte sich als Andenken an ihre bayerische Heimat, "endlich wieder einmal Weißwürste zu essen". Diesen Wunsch erfüllte ihr Dr. Regina Prinz sehr gerne. Nach ihrem Besuch schickte Bea Green dieses Foto beim Essen der Weißwürste als Dankeschön nach München.

Daniel Green, Fotografie, 2023.


Besuchsinformation

Öffnungszeiten

Die Ausstellungen des Münchner Stadtmuseums sind aufgrund der Generalsanierung aktuell geschlossen. Das Kino des Filmmuseums und das Stadtcafé bleiben weiterhin wie gewohnt bis Juni 2027 in Betrieb.

Informationen zur Von Parish Kostümbibliothek in Nymphenburg

Filmmuseum – Vorstellungen
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Donnerstag 19.00 Uhr
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