leere Kinostuhlreihen aus rotem Stoff von hinten

Lanthimos & Tsangari

Das Kino von Yorgos Lanthimos und Atina Rachel Tsangari

Lanthimos und Tsangari sind mehr als nur Weggefährten. Rivalität spielt zwar jeweils eine zentrale Rolle in ihren Filmen, aber sie sind sturmerprobte Verbündete. Lange Zeit ziehen sie an einem Strang. Gemeinsam arbeiten sie an Videos für die Eröffnungs- und die Schlusszeremonie der Olympischen Spiele 2004, Tsangari produziert Lanthimos' frühen Filme. Mit diesem Gespann gewinnt die Neue Griechische Welle ein weiteres Adjektiv hinzu: schräg. Sie teilen einen robusten Sinn für die Satire; Tsangari kennt auch keine Scheu vor gehobenem Unfug à la Monty Python. Vor dem Hintergrund des ökonomischen Niedergangs und der Austeritätspolitik, die Griechenland von Europa auferlegt wird, entwerfen sie Porträts einer Gesellschaft, die mit dem unbestechlichen Blick eines Insektenforschers gefilmt sind, für den der Mensch nur eine Spezies unter anderen ist (Tsangari ist ein bekennender Fan des Tierfilmers Sir David Attenborough, dessen Namen sie im Titel ATTENBERG verballhornt). Ihre Filme sind motivisch eng verzahnt, etwa durch die Zunge als Instrument der Welterforschung (was aber nicht immer eine Gewähr für Lustgewinn ist). Ihnen ist der Einsatz heterogener Musikstile gemeinsam; Tsangari hat ein Faible für den französischen Pop der 1960er Jahre, mag aber auch Petula Clark und die wunderbare Minnie Ripperton. Sie entdeckt die französische Schauspielerin Ariane Labed, die er in der Folge mehrmals besetzen wird. Im Gegenzug spielt er den passiven, willfährigen Liebhaber in ATTENBERG, der ein direkter Vorfahre des genügsamen Verlobten in POOR THINGS ist. Männer ohne dominanten Penis sind eine Zukunftsvision, die beiden nicht sonderlich verheerend erscheint. Die Kreuzfahrt in Tsangaris CHEVALIER gerät zu einem gewitzten Pandämonium toxischer Männlichkeit, als die Figuren einen Wettstreit darum beginnen, wer in allen Lebensbereichen der »Beste« ist. Jede Alltagssituation gerät nun auf den Prüfstand, jedes Wort gebiert Hintergedanken.
Beiden ist überdies gemeinsam, dass sie sich für geraume Zeit in ein freiwilliges Exil verabschieden – sie in die USA, er nach Großbritannien. Danach führen sie ihre künstlerischen Suchbewegungen in unterschiedliche Richtungen. Tsangari dreht die TV-Serie TRIGONOMETRY und wendet sich verstärkt dem Theater zu. Ihre Wege mögen sich getrennt haben, aber nach wie vor schicken sie einander Nachrichten in ihren Filmen – der selbsternannte Frauenheld, den Mark Ruffalo in POOR THINGS verkörpert, würde prächtig in die Männerrunde passen, die in CHEVALIER miteinander konkurriert.
Lanthimos wird derweil immer höher an der Börse des Autorenkinos gehandelt. Der Regisseur entfesselt sich, sobald er englischsprachige Filme dreht. Auch große internationale Stars sind nun bereit, sich den typisch ausdruckslosen Spielduktus anzueignen. Etliche von ihnen, darunter Olivia Colman, Colin Farrell, Emma Stone, Rachel Weisz, kehren gern zurück in seinen filmischen Kosmos, stets aber unter anderen Vorzeichen. Ab THE FAVOURITE bricht sich eine ungekannte, extro- vertierte Verve des Spielens Bahn. Seine Inszenierung wird barocker. Mit jedem Film kommen neue Stilelemente hinzu, die gemeistert werden wollen. In THE KILLING OF A SACRED DEER entdeckt er die Eindringlichkeit langer Kamerafahrten. In THE FAVORITE setzt er sie in einem höfischen Ambiente ein, in dem das Licht ein seltenes, kostbares Gut ist. Schon davor schätzt er Weitwinkelobjektive, die den Raum öffnen und das Blickfeld erweitern. Aber nun bevorzugt er extrem kurze Brennweiten, wählt die Fischaugenperspektive, um die Szenerien wie in einem Zerrspiegel zu betrachten. POOR THINGS entsteht fast komplett in schwelgerisch-bizarren Studiodekors, ist mit allen Wassern der Tricktechnik gewaschen, aber widerständig auf Filmmaterial gedreht.
Mit der formalen Radikalisierung geht eine thematische Zuspitzung einher. Die Rebellion, die sich in seinen frühen Filmen andeutet, bricht in THE LOBSTER aus. In der dystopischen Gesellschaft des Films herrschen Beziehungspflicht und Masturbationsverbot; Singles werden gelegentlich zur Jagd freigegeben. So viel Repression muss Paroli geboten werden! Auch die Sexualität befreit sich jetzt brüsk in Lanthimos‘ Kino, seine Frauenfiguren entdecken die Lust. Emma Stones »furious jumping« dürfte zum geflügelten Wort werden. Ihre Figur besitzt einen Witz, über den Tsangaris Heldinnen bereits von Anfang an verfügten. Aber Lanthimos holt wacker auf. In seinen jüngsten Filmen münden weibliche Biografien, die von Ausbeutung bestimmt waren, in ruppige Triumphe der Emanzipation. Stone geht in POOR THINGS durch eine Schule der Abgebrühtheit und Erkenntnis. Die vormals dressierten Geschöpfe dürfen sich nun selbst erfinden.

Zum gesamten Text von Gerhard Midding und dem pdf der Filmreihe mit allen Titeln und Terminen.

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Besuchsinformation

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Die Ausstellungen des Münchner Stadtmuseums sind aufgrund der Generalsanierung aktuell geschlossen. Das Kino des Filmmuseums und das Stadtcafé bleiben weiterhin wie gewohnt bis Juni 2027 in Betrieb.

Informationen zur Von Parish Kostümbibliothek in Nymphenburg

Filmmuseum – Vorstellungen
Dienstag / Mittwoch 18.30 Uhr und 21.00 Uhr
Donnerstag 19.00 Uhr
Freitag / Samstag 18.00 Uhr und 21.00 Uhr
Sonntag 18.00 Uhr

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U-Bahn Station Sendlinger Tor
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