leere Kinostuhlreihen aus rotem Stoff von hinten

Straub & Huillet

Für eine kommunistische Utopie

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Am 20. November 2022 ist Jean-Marie Straub gestorben, sechzehn Jahre nach Danièle Huillet, mit der gemeinsam er ein großes Werk geschaffen hat, das er nach ihrem Tod fortsetzte. Ein Werk von einer unerhörten Beharrlichkeit und politischen Konsequenz, und von einer Hellsicht und Lebendigkeit, vom Glauben, dass nur durch die kommunistische Utopie die Gesellschaft, der Planet zu erhalten ist. Ein Werk das lebt und wuchert, man muss, man kann es immer wieder erleben. Das Wochenende im Filmmuseum soll dieses Werk vergegenwärtigen, nicht chronologisch oder linear, sondern assoziativ, den Spuren folgend, die die Filme vorgeben. Bei allen Vorführungen sind Barbara Ulrich, die zweite Ehefrau Jean-Marie Straubs, auch Produzentin der späten Filme, Verleiherin, Übersetzerin, Darstellerin, sowie Christophe Clavert, Filmemacher, Kameramann der späten Straubfilme und Darsteller, zu Gast.

Ein Leitmotiv
Man versteht absolut nichts von der modernen Zivilisation, wenn man nicht zuerst zugibt, dass sie eine universelle Verschwörung gegen jede Form von innerem Leben ist.
Georges Bernanos

Wenn nun viele, einhellig und unabhängig davon, was sie von den Filmen von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub halten, dieses Werk als einzigartig, unvergleichlich und singulär in seiner Radikalität, seinem Anspruch und seiner Ästhetik bezeichnen, dann stehen so viele unterschiedliche Einschätzungen dahinter wie es Stimmen sind, die diese zum Ausdruck bringen. Jede trägt ihr Teil dazu bei, und das ist gut so. Aber, wenn es tatsächlich ein so einzigartiges wie radikales Werk ist, worin besteht dann seine Einzigartigkeit? Es ist nicht radikal, um radikal zu sein, nicht anspruchsvoll, um anspruchsvoll zu sein. Es ist so, weil es so sein muss, aus einer inneren Notwendigkeit. Wofür? Und auch: wogegen?
Ich habe mich gefragt, ob es ein Leitmotiv gäbe, das dieses Werk durch sechs Jahrzehnte trägt. Ja, ich glaube, das gibt es. Ich würde es so formulieren: Anspruch und Ziel dieses Werkes sind es, darauf hinzuarbeiten, dass das »Zusammenleben der Menschen« und das, was sie bauen und produzieren – also die Kultur – eine würdige Antwort ist auf das, was wir alle bei unserer Geburt vorfinden und was wir Natur nennen: d.h. die Komplexität und die Pracht dieser großen kosmischen Mikro- und Makroorganisation, von der unsere Erde nur eines der Juwelen ist.
Wenn dem so ist, dann sind dies eine Ambition und eine Absicht, die, ausgehend von der tiefen persönlichen Verankerung von Danièle und Jean-Marie in der griechischen und westlichen, d.h. christlichen Kultur, auf einen u-topischen Punkt zusteuern, mit einer sehr schönen und hohen Vision dessen, was der Mensch zu tun vermag, und wozu er berufen ist. Ausgehend davon kann man alle ihre Filme als Variationen dieses einzigen und ursprünglichen Themas verstehen.
Diese Utopie der Antwort, der Verbindung, fand im Werk der Straubs ihren höchsten Ausdruck in DER TOD DES EMPEDOKLES (1986) und gipfelt dort in jener großen Beschwörung, die sie als kommunistische Utopie bezeichnet haben. Es ist diejenige, in der jedes Lebewesen seinen Platz in jenem großen Ganzen findet, das nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere, Pflanzen, Steine, das Wasser, die Luft und die Sterne umfasst. Es ist eine organische und systemische Weise des Verstehens und als solche weit davon entfernt, eine Hierarchie des Lebendigen zu behaupten. Es ist eine Vision, die uns an östliche Vorstellungen erinnert, gewiss, aber Hölderlin selber hat sie aus Texten der christlichen Mystik und aus der alchemistischen Tradition geschöpft, d. h. aus unserer eigenen Kultur, unserer eigenen Herkunft. Das sind sie, die alten, aber vergessenen Dinge, von denen Charles Péguy spricht: »Die Revolution zu machen, bedeutet auch, sehr alte, aber vergessene Dinge wieder an ihren Platz zu rücken.« Ist das Bild einer großen mikro- und makrokosmischen Harmonie nicht zu schön, zu naiv? Dann sprechen wir über das, wovon sie das Gegenbild ist.
Konkret, politisch: Diese alten Dinge wurden unter dem Druck dessen, was seit dem 17. Jahrhundert bei uns geschah, verdrängt und vergessen. Der europäische Mensch lebte nicht mehr in Furcht und Ehrfurcht vor der Natur, sondern er machte sich zu ihrem Herrn und Besitzer. Er begann, ihre Elemente zu messen, zu quantifizieren, zu hierarchisieren und zu kapitalisieren. Der Mensch selbst entging dieser zerstückelnden Behandlung nicht. Das konkrete Individuum in seiner einzigartigen Realität wurde von seinem inneren Wesen abgeschnitten, denn nicht nur seine körperlichen und organischen Abmessungen, sondern auch das Intimste und Einzigartigste was es hat, seine Gefühle, Intuitionen und Empfindungen, werden von nun an durch den Filter der Wissenschaft und der Vernunft gepresst, und was nicht ins Raster passt, soll nicht mehr existieren. In derselben paradoxalen Entwicklung wurde das reale, lebendige Individuum als Subjekt abgelöst und in der Philosophie durch das abstrakte »Ich-Individuum« der Aufklärung, im ständigen Fortschritt zum Guten befindlich, ersetzt. Es macht im 19. Jahrhundert Furore und wir sind nun dessen kranke Erben ... krank einfach deswegen, weil das proklamierte Ideal und die existierende Realität nicht zusammenpassen.
Wir sind krank. Und in 300 Jahren haben wir es geschafft, unsere innere und die ganze äußere Erde krank zu machen mit Umweltverschmutzung, Depression und Kapitalisierung, und nun tauchen auch neue Gewalten und Irrationalitäten auf, und zwar innerhalb unserer westlichen Welt, von der man glaubte, sie sei endgültig durch und für den berühmten »Fortschritt« gewonnen. Sie tauchen auf wie eine wilde Rache dessen, was so lange verdrängt und abgewertet wurde.
Das ist das Gegenbild zum Bild des Straubschen Leitmotivs der kommunistischen Utopie.
Das Leitmotiv, so haben wir gesagt, besteht darin, darauf hinzuarbeiten, dass das Zusammenleben der Menschen – ein Werk der Kultur – zu einer würdigen Antwort auf das ursprüngliche und uns geschenkte Wunder der Natur werden kann.
In Anbetracht der Situation geht es also darum, die verheerende Spaltung und Trennung, die aus unserem präzisen okzidentalen historischen, politischen und philosophischen Entwicklungsprozess entstanden ist, zu heilen. Die »alten und vergessenen Dinge« sind die Mittel dazu, die die Straubs in der Literatur, der Musik und der Malerei finden: Handlungsweisen, Bräuche, altes Wissen, Lebensformen und Reflexionen. Jeder Film ist eine neue Variation desselben Anspruchs und lässt ihn uns in immer neuen Formen und Inhalten erleben.
Die Forderung nach Zusammenhang und Verbindung, nach einer neuen und ganzen Welt, erfüllen die Straubs selbst konkret durch die und in der Arbeit. Es gibt zunächst die Alchemie, die bei den Proben entsteht, zum Beispiel zwischen dem Sprecher und dem Text. Alle, die das Glück dieser Arbeit hatten, können es bezeugen. Es ist eine tiefe Erfahrung. Und dann gibt es die Filme mit dem, was ihnen allen gemeinsam ist, nämlich eine Schönheit des Bildes in jedem Moment und eine Fülle des Wohlklangs. Wenn man das Glück hat, die Filme langsam, Bild für Bild, betrachten zu können, dann wird einem klar, dass jedes Bild in sich selbst ein Gemälde ist. Jedes Fotogramm ist voll, reich und konstruiert. Arbeitet man stundenlang daran, dann sind die Augen und Ohren am Abend zwar müde, aber, um mit Arons Worten zu sprechen, das Herz ist stark, es ist gesund, man fühlt sich gut. Dies ist keine Metapher, sondern eine physische, vielfach erlebte Realität, und sie ist das Geschenk dieser Fülle an Schönheit.
Und so verstehen wir, dass der Anspruch und die Radikalität das Korrelat des gegebenen Ziels sind, es ist das oder nichts ... sonst bricht die Form zusammen. Und es ist beeindruckend und wunderbar, den Weg dieses Werks von den 1950er Jahren bis heute verfolgen zu können, bis hin zum letzten Film, GENS DU LAC, der wieder ein Beispiel atemraubender Schönheit und Einfachheit ist.
Barbara Ulrich (März 2019)

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